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Joachim Kühn
Eindringlichkeit und Wahrhaftigkeit

Rund um seinen 80. Geburtstag am 15. März 2024 wandert Joachim Kühn über ein Hochplateau seiner Piano-Kunst, schöpft aus der Fülle der Erfahrungen und konzentriert sich ganz auf die Gegenwart, auf den Moment. Wie schon sein ganzes Leben lang.
Dennoch muss man zu diesem Anlass festhalten: Wie kein anderer Jazzpianist aus Deutschland hat sich Joachim Kühn einen Platz in der internationalen Spitze des Genres erspielt. Er kann auf Jahrzehnte eines Schaffens zurückblicken, in denen er Jazzgeschichte nicht nur miterlebt, sondern maßgeblich mitgestaltet und vorangetrieben hat. Joachim Kühns Bedeutung unterstreicht auch das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse, welches ihm Bundespräsident Frank Walter Steinmeier am 12.4. verleiht.

Joachim Kühn und ACT-Gründer Siggi Loch teilen eine mehr als 50-jährige Verbindung, die mit der Veröffentlichung von „Springfever“ 1972 auf Atlantic Records begann, sich seit 1992 auf ACT fortsetzt und in der aktuellen Dekade unter Andreas Brandis eine fruchtbare Fortführung findet. Kühns 19 Alben auf ACT zeigen einen Musiker von beeindruckender Bandbreite. Diese reicht von der Jazzsymphonie „Europeana“ über das Nordafrika und Europa vereinende Trio Kühn / Bekkas / López und das Joachim Kühn New Trio bis zum generationenübergreifenden Duo mit Michael Wollny und mehreren Soloaufnahmen.

In seinem Spiel verbindet Joachim Kühn ein unbändiges Streben nach künstlerischer Freiheit mit einem untrüglichen Sinn für musikalische Qualität und spielerische Leichtigkeit mit starken Emotionen. Seine Konzerte und Aufnahmen gleichen Ereignissen, entfalten sich in rauschhaften Improvisationen und finden wie von selbst zu faszinierenden Verlaufsformen. Das trifft auf seine Soloauftritte ebenso zu wie auf sein Spiel im New Trio mit dem Bassisten Chris Jennings und dem Schlagzeuger Eric Schaefer wie auch auf das Duo mit dem Jahrzehnte jüngeren Michael Wollny – dokumentiert auf zwei ACT Alben, zuletzt auf „DUO“ Anfang 2024. Kühn und Wollny sind einander wesensverwandt in der Tiefe des musikalischen Empfindens, in ihrer überbordenden Phantasie, ihrer künstlerischen Kompromisslosigkeit und im Streben nach dem Überschreiten musikalischer Grenzen. Kann man im Spiel der beiden einen Nachhall der großen klassischen und romantischen Klaviertradition hören, so offenbart Joachim Kühn im Trio wie stark er die Essenzen des Jazz assimiliert hat und zugleich in eine eigene, innovativ orientierte Klangsprache zu transformieren zu weiß.

Die Laufbahn von Joachim Kühn umspannt Zeiten, Länder, Kontinente und lässt bei allen musikalischen Umbrüchen eine Konstante erkennen: Das Streben nach Freiheit. Geboren 1944 in Leipzig, hat er sich seit früherster Jugend an den Großen orientiert – an John Coltrane, an Ornette Coleman, an Bach. Sein älterer Bruder, der Klarinettist Rolf Kühn, wurde sein Vorbild und später sein musikalischer Partner. Mit seinem frühen Idol Ornette Coleman verband ihn eine lange und intensive Zusammenarbeit. Und die Verehrung für Johann Sebastian Bach wurde im gemeinsamen Musizieren mit dem Leipziger Thomanerchor zu einer klanggewaltigen Reminiszenz.

Joachim Kühns atemlose Karriere lässt sich kaum mehr im Zeitraffer erfassen: Free Jazz im heißen Klima der sechziger Jahre in Paris, Fusion Music in Kalifornien, moderner Jazz in New York, Solo, Duos, Trios, unzählige Platten, schließlich die Entscheidung für Ibiza als Wohnsitz, von dem aus die Wege den Pianisten in alle Welt führen. Für jemanden wie Joachim Kühn, der zu einhundert Prozent in der Musik lebt, gibt es keinen Stillstand. Sich weiterzuentwickeln ist für ihn eine innere Triebkraft, obwohl er sich längst mit dem Erreichten glücklich und zufrieden geben könnte. Er hat mit der Königsklasse des Jazz gespielt, mit Musikern wie Ornette Coleman, Archie Shepp, Pharoah Sanders und Joe Henderson. Er hat mit seinem Bruder Rolf und dem Coltrane-Bassisten Jimmy Garrison "Impressions Of New York" aufgenommen. Sein Trio mit Daniel Humair und Jean-François Jenny-Clark ist aus der europäischen Jazzgeschichte nicht mehr wegzudenken. Und im Trio mit Majid Bekkas und Ramón López oder im Duo mit Rabih Abou-Khalil gelang ihm die Öffnung des Jazz zu den Kulturen der Welt.

Doch für diesen Pianisten hat die Suche kein Ende. Technisch gibt es für ihn schon lange keine Grenzen mehr. Es geht ihm, sagt Joachim Kühn, um die pure Musik. Mit der größten Eindringlichkeit und Wahrhaftigkeit