Der in der Schweiz geborene innovative Jazzsänger und Komponist ist für seine außergewöhnliche stimmliche Vielseitigkeit und Kreativität bekannt. Er bewegt sich mühelos zwischen Jazz, Beatboxing und Vokalimprovisationen, was ihm internationale Anerkennung eingebracht hat. Andreas Schaerer ist Gründer und Mitglied mehrerer Projekte, darunter das Quartett "Hildegart Lernt Fliegen", und hat mit berühmten Musikern wie Bobby Mc Ferrin und Nils Wogram zusammengearbeitet. 2015 wurde er mit dem Echo Jazz als "Sänger des Jahres international" ausgezeichnet. Schaerer gilt als einer der herausragensten und einfallsreichsten Stimmen des zeitgenössischen Jazz.
Andreas Schaerer - Anthem For No Man´s LandCD / Vinyl / digital
Andreas Schaerer voice, mouth percussion, bass-synth
Luciano Biondini accordion
Kalle Kalima electric guitar
Lucas Niggli drums
Als Sänger hat man eine besondere Verantwortung. Denn mit der Stimme kann man sich nicht unsichtbar machen. Sie ist präsent, Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, ein Instrument, das direkt auf die Persönlichkeit verweist. Und außerdem produziert die Sprache Bedeutung. Jeder Text ist ein Anker, nahezu jede Aussage reicht über die Musik hinaus. Wer singt, muss daher vieles bedenken. „Eine Stimme kommt immer sehr direkt aus der Musik“, erzählt Andreas Schaerer. „Es gibt die Tendenz, dass Stimme, weil sie präsenter ist, einfacher zwischen Zuhörer und Musik vermitteln kann. Ich habe mich bewusst damit beschäftigt, wie ich mit der Stimme Musik oder ein Instrument begleiten kann. Es ist weniger schwer, begleitende Pattern zu finden, als zu erreichen, dass die Stimme sich nicht dauernd in den Vordergrund drängt. Selbst wenn du ganz leise Dinge machst, sie kommt einfach raus. Will man diese „traditionelle“ Rolle als Sänger erweitern, muss man das sehr bewusst gestalten.“ Die Schlagworte sind gefallen. Es geht um Präsenz, Vermittlung, Gestaltung. Denn der Schweizer Andreas Schaerer ist Sänger aus Leidenschaft. Wenn er singt, dann ist der ganze Körper Instrument, elastisch und tänzerisch. Er schlüpft in die Musik, nimmt Rollen ein, die sich aus den Klängen ergeben. Das ist ein ungewöhnliches Konzept und es weitet sich noch, wenn Andreas Schaerer auf Partner wie den Schlagzeuger Lucas Niggli, den Gitarristen Kalle Kalima und den Akkordeonisten Luciano Biondini trifft. Dann entsteht ein Quartett, das es schafft, Unterschiede produktiv zu verknüpfen: „Die Band gibt es seit 2016. Der Nukleus war das damals bereits bestehende Duo mit Lucas Niggli. Wir konnten uns nicht entscheiden, ob wir auf Dauer eher in eine elektronische oder in eine akustische Richtung gehen wollten. Geplant waren zwei Trios. Mit Kalle loteten wir die eine Richtung aus, mit Luciano die andere. Die Energie unter uns vieren war aber auf Anhieb so einmalig, dass ein Quartett daraus geworden ist. Und alle spielen wir auch sonst zusammen, also Duos in verschiedenen Kombinationen“. Diese besondere Chemie führt auch zu einem eigenen Tempo. Das erste Album des Quartetts A Novel Of Anomaly erschien 2018. Danach folgten über einhundert Konzerte, aber auch reichlich andere Projekte, die wie Hildegard lernt fliegen, Out Of Land, The Big Wig oder Evolution ihre Zeit beanspruchen. A Novel Of Anomaly hat sich daher sechs Jahre Raum gegeben, um mit „Anthem For No Man's Land“ an die ersten Experimente anzuknüpfen. Und die Musik wurde einerseits größer, andererseits offener. Denn Andreas Schaerer zieht sich weiter aus der ersten Reihe zurück, hinein in das Kollektive. Er verlässt die Sprache als Bedeutung, ohne auf den dramaturgischen Reiz des Gesprochenen zu verzichten. Was er singt, klingt bekannt, ist aber erfunden. Es weckt Assoziationen, sorgt so souverän für Sprachstimmungen, dass man beim beiläufigen Hören Englisch, Spanisch, Griechisch, Italienisch zu entdecken meint. Das ist kein Witz, sondern eine Philosophie und hat auch gesellschaftliche Aspekte: „Die Schnittstelle zwischen Sprache, Musik und Klang ist schon besonders spannend. Es hat mich schon immer interessiert, mit diesem Bruch zu spielen, wo sich Inhalt auflöst und Sprache nur noch Klang ist, trotzdem aber noch genug sprachliche DNA hat, um weiterhin als solche verstanden zu werden. Das ist fließend, ein spielerischer Ort. Auch Kinder sprechen ja viele Phantasiesprachen. Und bei diesem Album habe ich viel in diese Richtung überlegt. Einige Stücke funktionieren gut ganz ohne, andere aber wieder verlangen nach einer Sprache. Ich habe zuerst mit imaginärem Englisch oder Italienisch experimentiert, wo ich nur die Klangtemperaturen verwendet habe. Denn mir war schnell klar, dass „Anthem For No Man's Land“ eine freiere Sprache nutzen muss, die keiner Nation angehören. Es sind alles Worte, die es nicht gibt. Wenn man sie googelt, gibt es keine Treffer oder es kommt: ‚Meinten Sie …?‘“ Dazu passt die Musik. Alle Beteiligten lassen ihre Vorlieben ineinandergreifen. Mal klingt „Anthem For No Man's Land“ nach Prog Rock und dem psychedelischen Sound der Siebziger. Mal schwelgen die Klänge in der Italianita oder haben Tango-Elemente. Man findet Einflüsse westafrikanischer Rhythmen, alpenländischer Melodien. Kammerjazz mündet in eine raffinierte Form von Dada, die Vielfalt der Klänge und Motive passt zu den Bildern, die die imaginären Sprachen hervorrufen: „Ich finde den Titel „Anthem For No Man's Land eine“ schöne Idee, eine Hymne für ein Niemandsland oder ein Jedermenschensland“. Musik, die mehr kann, als beim Naheliegenden zu bleiben. Das passt zu dieser Band.Credits:
Produced by Andreas Schaerer, Kalle Kalima; Martin Ruch
#1 & 8 composed by Kalle Kalima, lyrics by Andreas Schaerer
#2 composed by Luciano Biondini
#3, 4 & 9 composed by Andreas Schaerer
#5 & 6 composed by Kalle Kalima
#7 composed by Lucas Niggli & Kalle Kalima
#10 composed by Luciano Biondini & Andreas Schaerer, lyrics by A. Schaerer
Recorded by Martin Ruch at Jazzanova Recording Studio in Berlin, May 28-30, 2024.
Mixed & Mastered by Martin Ruch
Assistant Engineer: Marian Hafenstein
The Art in Music: Cover art by Martin Noël (1956-2010), 2010, used by kind permission of Margarete and Cora Noël
Andreas Schaerer - EvolutionCD / Vinyl / digital
Andreas Schaerer voice, mouth percussion
Kalle Kalima electric & acoustic guitar
Tim Lefebvre electric & acoustic bass (except 01 & 08) Beide sind sie unverwechselbare und Genre-überschreitende Solitäre der internationalen Jazzszene, zusammen spielen sie seit Jahren im Quartett A Novel Of Anomaly: Der Schweizer Stimmakrobat Andreas Schaerer und der immer das Besondere aus seinem Instrument zaubernde finnische Gitarrist Kalle Kalima. Nun haben sie ihr erstes ganz auf sich konzentriertes Album aufgenommen, sich für diese „Evolution“ (so der Titel) aber noch einen speziellen Input gegeben. Ihre Musik grundiert hier der amerikanische Bassist Tim Lefebvre, der mit seinem zwischen allen Genres changierenden Spiel schon diverse Jazz- und Popstars von Mark Guiliana und Wayne Krantz bis zu Sting, Elvis Costello oder David Bowie begleitete und nicht unbeteiligt am Durchbruch des Michael Wollny Trios war. Wer die Arbeit von Schaerer und Kalima über die Jahre verfolgt hat, dürfte von „Evolution“ zunächst überrascht sein. „Ein Album ist eine ganz andere Plattform als die Live-Bühne. Wir sind uns im Laufe unserer vielen Aufnahmen immer klarer geworden, dass man das auch jeweils anders bespielen muss,“ erklärt Schaerer. Umso sorgfältiger wurde „Evolution“ produziert. Eine Pop-Qualität, die Schaerer da beschreibt, und tatsächlich könnte man „Evolution“ fast schon ein Singer/Songwriter-Projekt nennen, so sehr ist es auf Songs und Texte konzentriert. „Es geht bei uns ja schon seit längerem in diese Richtung, bei Kalle etwa mit Kuu!, bei mir zuletzt auch mit Hildegard lernt fliegen.“ Schaerer ist hier mehr denn je ein Sänger und setzt seine typischen Stimm-Eskapaden - Klick- und Plopp-Laute, Beatboxing und Vokalisen polyphon übereinandergeschichtet oder auch die Imitation von Blasinstrumenten – eher sparsam ein.
„Es ist aber keine Reißbrett-Konstruktion,“ betont Schaerer. „Wir haben nicht gesagt: ‚wir machen jetzt nur noch Songs‘, sondern die Stücke sind sehr natürlich entstanden. ‚Pristine Dawn‘ ist ein gutes Beispiel: Es gab eine Songstruktur und einen Text, aber keine Melodie. Die Studio-Aufnahme ist der Moment, wo sie komponiert wurde. Die Aufnahme ist der ‚First Take‘, es ist einfach perfekt geflossen, so dass man auch die 11-taktige Struktur nicht merkt, die eigentlich sehr schräg ist.“ So funktioniert das auf ähnliche Weise bei allen Stücken, für die zu gleichen Teilen mal Schaerer, mal Kalima die Idee und die Texte (drei stammen von Kalimas Frau Essi) beisteuerten, bevor man es gemeinsam im Studio entwickelte. Und so trägt jedes Stück dann doch wieder eine unverwechselbare, ganz persönliche Handschrift. Musikalisch aber auch in den von den Lyrics getragenen Texten. „Kalle und ich haben in einigen Texten auch sehr persönliche, intime Gedanken und Erlebnisse verarbeitet. Und natürlich geht es auch, um das, was uns aktuell auf der Welt umtreibt, von Künstlicher Intelligenz bis zur titelgebenden Frage, ob die Evolution stagniert.“„Rapid Eye Movement“ etwa zeigt Kalimas Faible für folkige Farben, Schaerers psychedelisches „Trigger“ führt ihn am Anfang und Ende ins Falsett. Beim Titeltrack wird es zwischendurch ziemlich wild, bevor das Stück dem Titel angemessen frei und improvisiert ausklingt. Das schnelle „Multitasking“ ist mit seiner auch humorvollen Sprachspielerei, einem „Mouth-Trumpet-Solo“ und seinem philosophischen Thema ebenso ein typischer Schaerer wie das ganz ruhige und lyrische, einmal nur lautmalerisch gesungene „So Far“. Auf dem fast filmmusikalischen „Song Yet Untitled“ oder dem melancholischen „Sphere“ lässt wiederum Kalima seine Gitarre singen, wie nur er das kann. Was beide zusammenbringen, ergibt stets „mehr als nur die Summe der Teile“, wie Schaerer begeistert feststellt.Und dann ist da ja auch noch Tim Lefebvre, der die beiden mal am E-Bass, mal am Kontrabass (mit einem schönen Solo-Intro bei „Piercing Love“) beflügelte. „Wir haben mit Tim das erste Mal beim großen Jubilee-Konzert zu 30 Jahren ACT gespielt. Die Chemie war so gut, dass wir beschlossen, in Kontakt zu bleiben. Als ich ihn wegen ‚Evolution‘ anrief, hat er auch keine Sekunde gezögert“, erzählt Schaerer. „Es war dann echt beeindruckend, wie schnell er sich emotional mit der Musik verbinden konnte. Ein Wahnsinn, wie er etwa bei ‚SloMo‘ groovt, und wir uns so über Kalles Gitarren-Vorgabe in Rage spielen konnten.“So ist es am Ende eine für moderne Jazz-Produktionen beispielhafte „Evolution“, die Schaerer, Kalima und Lefebvre hier vorexerzieren: Ein stets neue Facetten eröffnendes Album voller komplexer und doch flüssiger, eingängiger Songs, das man immer wieder anhören möchte. Bei dem man sich aber auch sicher sein kann, dass es live ganz anders klingen wird. Credits:
Produced by Andreas Schaerer &Kalle Kalima
Executive Producer: Andreas Brandis
Andreas Schaerer - The Waves Are Rising, DearCD / Vinyl / digital
Andreas Schaerer voice Andreas Tschopp trombone & tuba Matthias Wenger alto saxophone (solo on 06), soprano saxophone & flute Benedikt Reising baritone saxophone, alto saxophone (solo on 04) & bass clarinet Marco Müller bass Christoph Steiner drums & marimba Der Berner Andreas Schaerer hat sich mit seinen jüngsten Projekten - von seinem ACT-Debüt, dem revolutionären Orchesterwerk “The Big Wig” für die Luzern Festspiele, über die Kooperationen mit Michael Wollny und Vincent Peirani bis zu seinem Quartett A Novel of Anomaly - als einer der herausragenden jungen Jazzer Europas etabliert. Als Komponist wie als Sänger, wobei Schaerer kein Jazzsänger im her-kömmlichen Sinn mehr ist: Er ist ein Vokalartist, der mit seiner Stimme nahezu jedes Instrument und Geräusch imitieren, vom Crooner bis zum Heldentenor alle Gesangsparts einnehmen und dies auch auf völlig einmalige Art mehrstimmig übereinanderschichten kann. Das Bandprojekt, das ihn damit bekannt machte, das aber zugunsten der anderen Aktivitäten einige Zeit brach lag, ist jetzt wieder am Start: Hildegard Lernt Fliegen. Ein Auftritt bei der Jazzahead in Bremen und der Gewinn des BMW Welt Jazz Awards wenig später bedeutete 2012 für das Sextett den Durchbruch in Deutschland. Begeisterung erregten die komplexen, immer überraschenden, völlig stil- und genreüberschreitenden Kompositionen mit Schaerers Eskapaden als Glanzlichtern, die viel Raum für Improvisationen ließen und mit viel Ironie und Humor in Szene gesetzt waren. Bei „The Waves Are Rising, Dear!“ müssen alte Hildegard-Fans jetzt etwas umdenken: Wie der Albumtitel schon andeutet, ist es ein ernsteres Werk, ein Konzeptalbum, auf dem Schaerer das gewohnte instrumentale Vexierspiel der Band mit fast klassisch klarem Gesang ganz ohne Kunststücke koppelt, im Dienste von Poesie und tiefgründigen Gedanken.
„Unser letztes reines Band-Album liegt sechs Jahre zurück. Wir haben uns entwickelt, wir leben in einer spannenden Zeit, voller Möglichkeiten, die aber auch große Fragen und Herausforderungen an uns trägt. Die Resonanz all dieser Umstände beeinflusst die kompositorische Arbeit, den textlichen Inhalt, die Musik wie ich sie heute höre ganz im Allgemeinen“, erklärt Schaerer diesen Stilwechsel. Nach wie vor bewahren sich die Songs allerdings ihre Geheimnisse. „Jedem Stück liegen ganz konkrete persönliche Gedanken zugrunde. Aber ich möchte die ausdrücklich nicht zu explizit kommentieren, sondern dem Hörer seine eigene Interpretation lassen. „Das Album ist bewusst so konzipiert, dass der Hörer mit seinen eigenen Geschichten, quasi seiner eigenen Biografie Teil der Dramaturgie werden kann “ sagt Schaerer, „man kann schon den Titel gesellschaftskritisch verstehen, oder philosophisch, metaphorisch, emotional, selbst erotisch, wenn man will.“Am eindeutigsten ist die Aussage noch bei „Symptoms, Causes And Treatments“, dessen Text rund um Freiheit und Determination sich Schaerer vom britischen Saxofonisten, Rapper und Crossover-Mastermind Soweto Kinch schreiben ließ. „Wir kennen uns seit Jahren, ich schätze seine Aussagen sehr, und so bat ich ihn um einen Text, zu dem ich ihm Fragen zusandte, die mich beschäftigen. Und ich bin sehr glücklich über das, was er mir geschickt hat.“
Ein ganz anders gepolter Höhepunkt des Albums ist „Embraced By The Earth“, bei dem Schaerer nicht nur seinen Freund, den einmaligen Akkordeonisten Vincent Peirani als Gast begrüßt, sondern auch im ergreifenden Duett mit Jessana Némitz singt, einer aufstrebenden Schweizer Sängerin. Ohnehin ist die Bandbreite der musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten noch einmal gewachsen, von neoklassisch dräuenden „Dripping Point“ zum Einstieg, über den energetisch federnden Titelsong oder das dramatisch aufgeladene Sprechgesangs-Sprachspiel „Irrlicht“, bis zur avantgardistischen Miniatur „Water“. Einen großen Bogen schlägt „The Waves Are Rising, Dear!“, dramaturgisch perfekt aufgebaut.Eine wichtigere Rolle denn je spielt die Band. Das Baritonsaxofon und die Bassklarinette von Benedikt Reising, die Saxofone und Flöten von Mattias Wenger, die Posaune und Tuba von Andreas Tschopp, der Bass von Marco Müller sowie das Schlagzeug und die Marimba von Christoph Steiner – sie alle haben mehr Raum als früher und erzeugen so auf „The Waves Are Rising, Dear!“ ein umso bezwingenderes, spannendes Klanggeflecht. Geknüpft von Virtuosen, die sich zuletzt alle mit ihren eigenen Projekten und Bands in der europäischen Jazzszene etabliert haben. Bei Hildegard Lernt Fliegen kommen sie hörbar zu ihren Wurzeln, zu ihrer aus unverbrüchlicher Freundschaft und langjähriger musikalischer Partnerschaft geformten Kraftquelle zurück. Um beim vierteiligen „Love Warrior“ schließlich Vergangenheit und Gegenwart in eins fallen zu lassen: Da verschmilzt der lyrische, gedankenvolle neue Ansatz der Band mit dem wirbelwilden, ironisch heiteren Sturm und Drang der frühen Jahre. Quasi als Botschaft der Hoffnung, und wie um zu beweisen: Wer die Zukunft des europäischen Jazz hören will, kommt an Hildegard Lernt Fliegen nicht vorbei.Credits:
Recorded by Martin Ruch & Christoph Utzinger at Bauer Studios, Ludwigsburg, 10-13 June 2019 Mixed and mastered by Martin Ruch Produced by Andreas Schaerer & Martin Ruch Cover art by Reto Andreoli
Magic Moments 1167 Minuten pures Hörvergnügen: Die elfte Ausgabe der beliebten Magic Moments bietet einen umfassenden Einblick in unsere neusten ACT-Veröffentlichungen mit Newcommern, ACT-Stars und echten Geheimtipps zum Sonderpreis. Unter anderem mit Michael Wollny, David Helbock, Vincent Peirani, Iiro Rantala, Joachim Kühn New Trio, Ida Sand, Lars Danielsson & Paolo Fresu und vielen mehr.Credits:Compilation by Siggi Loch Mastered by Klaus Scheuermann
Andreas Schaerer - A Novel Of AnomalyCD / digital
Andreas Schaerer vocals & mouth percussion Luciano Biondini accordion Kalle Kalima guitar Lucas Niggli drums Musik ist die vielschichtigste Form der Kommunikation, dessen Spannung im Jazz durch die Spontaneität der Improvisation noch gesteigert wird: Verbal, audiovisuell, emotional und selbst über die Körpersprache. Im besten Fall stellt sich das vielbeschworene blinde Verständnis, eine unerklärliche Vertrautheit ein. So auch, als der Berner Stimmakrobat und stilübergreifende Komponist Andreas Schaerer 2013 auf den Zürcher Schlagzeuger Lucas Niggli traf. „Ohne Vorprobe und ohne uns inhaltlich abgesprochen zu haben, gingen wir auf die Bühne“, erinnert sich Schaerer, „aber es fühlte sich an, als wären wir alte, bestens vertraute Weggefährten.“ Regelmäßig spielten sie fortan im Duo Stimme-Schlagzeug, mal leiseste akustische Zwiegespräche, mal ungezügelte, bombastische Klangwelten suchend. Bald kam der Wunsch auf, diese beiden Extreme intensiver auszuleuchten.Für eine Tournee wollten sie ihr Duo mit Gästen zu zwei verschiedenen Trios ausbauen: Mit dem italienischen Akkordeonisten Luciano Biondini wollte man sich dem Songhaften, Poetischen widmen, mit dem in Berlin lebenden finnischen Gitarristen Kalle Kalima den kraftvollen elektronischen Momenten. „Die Proben waren so geplant, dass wir morgens mit Luciano und nachmittags mit Kalle arbeiten würden. Aber weil ein Flug Verspätung hatte, waren wie alle vier gleichzeitig im Proberaum. Fließend ging der Soundcheck in eine wilde zweistündige Kollektivimprovisation über“, erinnert sich Schaerer, und Niggli ergänzt: „Dabei haben sich die zwei dann so gut verstanden, dass uns klar war, dass wir die nicht wieder auseinanderreißen können.“ Statt zwei Trios war so das mit Gitarre, Akkordeon, Schlagzeug und Stimme einzigartig besetzte Quartett geboren. Angesichts der Popularität der Mitglieder wurde die Band von Anfang an hoch gehandelt und von vielen Festivals eingeladen. Bei diesen Auftritten entwickelte sich das gleichberechtigte Quartett zur verschworenen Einheit. Zunächst mit alten Stücken, die jeder aus dem eigenen Repertoire holte, nach und nach mit neuen, eigens für das Quartett geschriebenen Titeln. Alle konnten Kompositionen beisteuern, die ihre jeweilige musikalische Herkunft und Vorliebe spiegeln. So ergibt sich auf dem jetzt eingespielten Album „A Novel Of Anomaly“ ein buntes Panorama, das zugleich den harmonischen und unverwechselbaren Bandcharakter offenbart. Bei „Aritmia“, mit seinem treibenden Schwung der ideale Opener, wie auch bei der melancholischen Ballade „Stagione“ steht das mediterrane Element, Biondinis Italianità, im Mittelpunkt. Kalle Kalima lässt bei „Dive“ Einflüsse des finnischen Tangos und bei „Planet Zumo“ mit entsprechender Rhythmik und schollernder Highlife-Gitarre seine Zusammenarbeit mit dem nigerianischen Schlagzeuger Tony Allen aufblitzen. Auch Niggli wendet sich in Richtung Afrika, ist er doch bis zu seinem sechsten Lebensjahr in Kamerun aufgewachsen. Für sein ätherisches Stück „Flood“ stand der afrikanische Dichter Chenjerai Hove Pate. Schaerer schließlich gibt im Akkordeon-Gesangs-Duett „Causa Danzante“ klassischen Anklängen Raum und legt mit „Getalateria“ einen fulminant rockigen alpinen Jodel-Blues hin. Ideal verbinden sich alle Elemente, das filigran druckvolle Schlagzeug Nigglis, die sich jedes Instrument aneignenden, multiphonen, auch mal beatboxenden Soli Schaerers, die expressive Gitarre Kalimas und das fast orchestral eingesetzte Akkordeon Biondinis auf dem hymnischen „Signor Giudice“. „Es war mir wichtig, auf dem Album auch dem Klang der Muttersprache jedes Musikers Raum zu geben“, betont Schaerer. So erzählt das gemeinsam geschriebene „Fiore Salino“ auf Italienisch von den Spielarten von Seelenverwandtschaft und Freundschaft. In „Swie Embri“ singt Schaerer auf Walliserdeutsch vom ewigen Fluss der Dinge. Der auf Finnisch gehaltene Text von „Laulu Jatkuu“ schließlich reflektiert, von einem Bergsteigerdrama begleiteten Auftritt der Band auf dem Montblanc inspiriert, die Gleichzeitigkeit von Werden und Vergehen. So ist „A Novel of Anomaly“ ein schillerndes Zeugnis für das Zusammenwachsen des aktuellen europäischen Jazz. Nach seinem orchestralen Mammutwerk „The Big Wig“ und dem Improvisationsfeuerwerk „Out of Land“ (mit Emile Parisien, Vincent Peirani und Michael Wollny) taucht Andreas Schaerer nun in einen neuen Klangkosmos ein: „A Novel of Anomaly“ präsentiert 11 Kurzgeschichten, die vermehrt auch intimeren und reduzierteren Stimm-Klangfarben Raum bieten – ungewöhnlich, überraschend und mitreißend zu gleich.
Credits:Produced by Andreas Brandis with the artists
Various Artists - The Jubilee ConcertsCD / digitalVarious ArtistsWenn 34 Künstler in den verschiedensten und teilweise noch nicht dagewesenen Konstellationen zusammenkommen, um miteinander zu musizieren, dann braucht es dafür eine verbindende Gesinnung, die die Musik im Innersten zusammenhält: Grenzen nicht zu akzeptieren, offen und neugierig sein für den Anderen, Mut zum Risiko und sich auf das Unerwartete einlassen sowie die Lust, Neues entdecken zu wollen. All dies zeichnet die ACT-Musikerfamilie aus, die aus allen Teilen Europas zu den Jubilee Concerts in Berlin zusammenkam, um ihrem Label zum 25. Geburtstag einen selbstgestalteten Konzerttag zu schenken und damit Danke zu sagen. Ganz nebenbei machten die Jubilee Concerts hautnah erlebbar, wofür ACT seit 1992 steht: Als führendes Entdeckerlabel auf der Suche nach bisher ungehörter Musik „in the Spirit of Jazz“ sind es die Vielfalt und die ungeahnten Verbindungen, mit denen das Label immer wieder überrascht und daraus neue Inspirationen zieht – connecting the unexpected.
Wer das Glück hatte, noch Karten für die große Geburtstagsfeier im Konzerthaus Berlin zu ergattern, der wird den Abend nicht vergessen. Denn es ging ihm vermutlich nicht anders als den zahlreich anwesenden Medienvertretern, die zum Jubiläum vor Ort waren: „Was für ein ACT!“ titelte zum Beispiel „Spiegel Online“ und befand, es seien „Konstellationen zustande gekommen, bei denen jedem, dem Jazz am Herzen liegt, nicht mehr bange um die Zukunft des Genres sein muss.“ „Le Figaro“ schrieb: „Kurz: Es war Jazz in all seinen Formen“, das britische Jazzwise Magazin meinte: „Alles deutete auf ein Label in seinem Zenit, das Neues umarmt, während es das Alte achtet, beides nährt und so Stars aufbaut; ACT wird erwachsen – mit einem Lächeln im Gesicht und einer stolzen Pose.“ Und die FAZ schließlich stellte fest: „Die ACT Family Band war ein Allstar-Ensemble, wie es so bald kein zweites in der Jazzgeschichte geben wird.“
Wer dieses Familientreffen der besonderen Art live verpasst hat, kann es jetzt immerhin auf CD nachhören. Er kann in einem für den „Spirit of Jazz“ der ACT-Künstler typischen Aus-und Querschnitt nachvollziehen, wie ACT mit bislang gut 500 Alben ein Viertel der Jazzgeschichte begleitet und in Teilen mitgeprägt hat: Ist doch jeder der hier beteiligten Musiker ein Ausnahmetalent mit herausragenden solistischen Qualitäten und eigenen Projekten, zugleich aber aufgeschlossen für die Inspiration, die sich aus der Begegnung mit seinen Kollegen ergibt.
Auf dieses Netzwerk der ACT-Künstlerfamilie legte Labelchef Siggi Loch von Anfang an großen Wert, und welchen Gewinn das einbringt, zeigt „The Jubilee Concerts“: Alles, was Nils Landgren, als integrales Zentralgestirn der europäischen Jazzszene, so etwas wie der ACT-Mannschaftskapitän, als Moderator präsentierte, war außergewöhnlich, angefangen mit seinem humorvoll-melancholischen Entree „Send In The Clowns“ zusammen mit Michael Wollny. Ob nun Jung und Alt auf verblüffende Weise miteinander kommunizierten wie der große deutsche Pianist Joachim Kühn mit dem französischen Shootingstar am Sopransaxofon Emile Parisien (der Name des Kühn-Titels, den das Duo darbot, „Missing A Page“, trifft sehr schön den von Noten unbelasteten, von musikalischer Freiheit durchdrungenen Ansatz der beiden); ob die Bassisten Dieter Ilg und Lars Danielsson im Duo miteinander spielten und jede Emotion freilegten, die man mit ihrem Instrument erregen kann; ob ein in wechselnden Kombinationen bestens eingespieltes Ensemble wie das Quintett mit Landgren, Wollny, Danielsson, dem Gitarristen Ulf Wakenius und Schlagzeuger Wolfgang Haffner mit „Walk Tall“ gospeligen Groove zelebrierte; oder ob mit Wollny, Parisien, dem Akkordeonisten Vincent Peirani und dem Stimmakrobaten Andreas Schaerer vier der herausragenden „jungen Wilden“ Europas die überkommenen Stil- und Genregrenzen über den Haufen warfen.
Berührender Höhepunkt ist „Dodge The Dodo“, einer jener Standards des „Great European Songbooks“, die der unvergessene, viel zu früh gestorbene Esbjörn Svensson geschrieben hat: Brillieren bei dieser Hommage doch unter anderem nicht nur Iiro Rantala am Flügel, der polnische Geiger Adam Bałdych und der jüngste ACT-Zuwachs Magnus Lindgren an der Flöte, sondern auch die beiden Söhne Svenssons, Noa am Schlagzeug und Ruben an der Gitarre. Ein Symbol für die nächste Jazzgeneration und eine nicht zu übertreffende Einleitung für das große Finale, bei dem alle mitsangen und -spielten: Denn da stimmte Ida Sand mit ihrer grandiosen Soul-Stimme jenen Nile Rodgers-Titel an, der den Kern des Abends wie der 25 Jahre, die es zu feiern galt, perfekt einfing: „We Are Family“. Oder wie es Nils Landgren formuliert: „Wir sind eine Familie. Nicht einfach irgendeine Familie. Wir sind die ACT-Familie!“Credits:
Live at Konzerthaus Berlin, April 2, 2017 Recorded, mixed and mastered by Klaus Scheuermann Curated by Siggi Loch An ACT Music concert production in cooperation with Konzerthaus Berlin
Andreas Schaerer - Out Of LandCD / digital
Emile Parisien soprano saxophone Vincent Peirani accordion Andreas Schaerer voice & mouth percussion Michael Wollny piano Eine Supergroup des europäischen Jazz - so darf man das Quartett wohl nennen, in dem sich der Schweizer Sänger Andreas Schaerer, der deutsche Pianist Michael Wollny, der französische Akkordeonist Vincent Peirani und sein Landsmann am Sopransaxofon, Emile Parisien, zusammengefunden haben. Alleine zwölf ECHO Jazz Awards vereinigen sie auf sich und in ihren Heimatländern haben sie nahezu jede wichtige Auszeichnung erringen können. Mit dem Live-Album „Out of Land“ beweisen sie nun gemeinsam, dass sie an der Spitze der Jazzgeneration zwischen 30 und 40 Jahren stehen: weil sie die Möglichkeiten ihres Instruments neu definieren und die Grenzen des Jazz erweitern.
Peirani ist das Bindeglied dieses aus musikalisch Gleichberechtigten bestehenden Gipfeltreffens, hat er doch mit den drei anderen schon gespielt und sie nun hier zusammengeführt. Parisien ist ohnehin ein Seelenverwandter und nahezu unzertrennlicher Weggefährte Peiranis. Mit Wollny hat der Akkordeonist schon im Trio seines „Thrill Box“-ACT-Debüts gespielt und im Duo „Tandem“ geht er mit ihm „eine hinreißende Liaison von bezaubernder Musikalität“ (Der Tagesspiegel) ein. Schaerer schließlich hatte Peirani vor zwei Jahren kennengelernt, als er bei einem „Hildegard Lernt Fliegen“ Konzert in Paris als Special Guest auf die Bühne kam. Obwohl gewünscht, ergab sich aber seither aus Zeitnot keine weitere Zusammenarbeit. Bis Schaerer jetzt Einladungen mit einer Carte blanche nach Budapest und Bern erhielt, bei denen er endlich Peirani ins Spiel brachte. Der wiederum Parisien und Wollny dazu holte…
Wie aber das Kind nennen? Schaerer schickte Peirani eine Liste mit Titelvorschlägen für das Projekt, darunter auch das offene „Out of…“. „Vincent antwortete mit ,Out of Land’, und das war es dann“, erinnert sich Schaerer. Klang dies doch nach der idealen Umschreibung für das Verlassen des sicheren Terrains, für etwas, von dem man noch nicht genau weiß, wie es wird. Denn das war Teil des Konzepts: offen zu bleiben, für die Ideen der anderen und sich die Spannung des im Moment Musizierens zu erhalten. Ohne Vorbereitungen wurden drei Tage geprobt, um dann gemeinsam auf die Konzertbühne zu gehen. Was Schaerer so erklärt: „Es ist einfach ein Traum, eine fast spirituelle Form des Musizierens, wenn man musikalisch spontan auf seine inneren Visionen eingehen und sie transparent kommunizieren kann. Und diese Musiker können es!“
Was mit Andreas Schaerer beginnt, einem der größten Improvisatoren unter den aktiven Jazzsängern. Er ist ein genialer Stimmartist, der sein Organ in den verschiedensten Lagen und Stilen erklingen lassen kann. Und einer, der auch alle denkbaren Geräusche erzeugen und allerlei Instrumente bis hin zum Schlagzeug imitieren kann.
Die bisherige Krönung seiner Karriere war wohl das im Herbst 2015 beim Luzern Festival uraufgeführte und stürmisch bejubelte Werk „The Big Wig“ für ein 66-köpfiges Symphonieorchester, dessen Mitschnitt zugleich sein ACT-Debüt markiert. Obwohl einige Jahre jünger, kann der 36-jährige, aus Nizza stammende Akkordeonist Vincent Peirani gut mithalten. Auch er hat in den vergangenen drei Jahren zahlreiche Auszeichnungen vom „Prix Django Reinhardt“ über die „Victoires du Jazz“ bis zum ECHO Jazz erhalten und ist zum Aushängeschild des jungen französischen Jazz geworden. Was er Knopfakkordeon und Akkordina entlockt, hat man so noch nicht gehört. Wie Schaerer schöpft auch er in seinen Projekten aus den unterschiedlichsten Genres - von Jazz, Chanson und Weltmusik über Klassik bis hin zu Heavy Rock. Peiranis Bruder im Geiste ist Emile Parisien, nicht nur, weil auch er frei über disparates Material von Wagner bis zum Hip-Hop improvisieren kann. Wie Schaerer den Gesang und Peirani das Akkordeon, so hat auch er sein Instrument technisch wie kompositorisch in neue Sphären geführt. Was man auch für das Klavierspiel von Michael Wollny behaupten kann. Ob im Duo mit dem Saxofon-Veteranen und Albert-Mangelsdorff-Weggefährten Heinz Sauer oder im eigenen Trio, mit seinem immer fantasievollen, stets überraschenden Spiel ist das „Jahrhunderttalent“ (Süddeutsche Zeitung) in die sehr kleine Riege deutscher Jazzer mit internationaler Reputation vorgestoßen.
Ihre zum Teil erstmalige Begegnung auf „Out of Land“ (Wollny und Schaerer hatten vorher noch nie miteinander gespielt) präsentiert sich nun voll unbändiger Energie. „Wir haben uns an vieles, was wir in den Proben besprochen hatten, auf der Bühne nicht gehalten, bewusst!“, erklärt Schaerer, „weil die Musik im Moment einfach etwas anderes gewollt hat. Mit dieser Band geht das, da fängt man einfach das Fliegen an.“ Und schon beim Einstieg mit Peiranis „Air Song“ darf man mitfliegen, so stark ist die emotionale Kraft dieser melodiebetonten Miniatur. Überwaltigende Dynamik und Rhythmik prägt dann das ebenfalls von Peirani stammende „B&H“. Eine überbordende Lust am Klangexperiment ist Wollnys „Kabinett V“. Besonders eindrucksvoll ist die gemeinsame kreative Infusion bei Schaerers „Rezeusler“: Das ursprünglich auf der Grundlage einer Sextett-Uptempo-Nummer als Ballade für Orchester komponierte Stück wird hier zu einer völlig neu klingenden Quartett-Suite. Nacheinander umkreisen erst Peiranis Akkordeon, Schaerers Stimme und Wollnys Klavier impressionistisch und sphärisch das Thema, bevor alle vier ins herzergreifende Finale einstimmen. Mit dem fast 14 Minuten langen, alles quasi wie bei einer Jam Session bündelnden „Ukuhamba“ verabschieden sich diese vier Erzmusikanten. Von einem Gipfeltreffen, das ein schwer zu übertreffendes Plädoyer ist für die Faszination der Improvisation und für die Kraft des live gespielten Jazz.
Various Artists - Twenty Five Magic Years - The Jubilee AlbumCD / Vinyl / digitalEs ist nun exakt 25 Jahre her, dass Siggi Loch ernst damit machte, „nützlich statt wichtig zu sein“, wie er in seiner Autobiographie schrieb: Nach einer beispiellosen Karriere als Manager und Produzent im internationalen Musikbusiness gründete er sein eigenes, unabhängiges Jazz-Label: ACT. Von Anfang an ging es ihm um eine Plattform für Musiker, die ihr Publikum unmittelbar berühren, begeistern und erobern können, die die ausgetretenen Pfade verlassen, Risiken eingehen und so ihre eigene Musik „in the Spirit of Jazz“ machen. 25 Jahre und über 500 Veröffentlichungen später darf dieser Anspruch als erfüllt gelten: ACT hat als „the discovery label“ Jazzgeschichte mitgeschrieben, seine Musikerfamilie besteht aus führenden Persönlichkeiten des Jazz.
Auch für das „Jubilee Album“ zur Feier dieses stolzen Jubiläums begnügt sich ACT nicht mit dem Erwartbaren. Bis auf drei Stücke, die gewissermaßen als „Signature Songs“ der ACT-Philosophie gelten können, sind alle Tracks bislang unveröffentlicht, einige davon wurden extra für diesen Anlass in wechselnder „Allstar-Besetzung“ in den Berliner Hansa-Studios eingespielt. So ergibt sich eine neu formulierte Quersumme der Herz, Seele und Geist gleichermaßen bewegenden Musik, für die ACT steht: ein Kaleidoskop magisch-musikalischer Momente seiner für alle Genres und Stile offenen Künstler.
Nicht zufällig geht es mit dem Beatles-Stück „Come Together“ los, interpretiert von Nils Landgren, Ulf Wakenius und Lars Danielsson. Folgt es doch der Tradition des Jazz, sich Vorlagen aus anderen Gefilden improvisierend anzueignen, die ganze ungeahnte Vielfalt der Musik zu nutzen – getreu dem ACT-Motto: „Connecting the unexpected“. Das Trio, dass dies hier umsetzt, steht auch für eine andere Spezialität: Ist ACT doch der wichtigste Exporteur des schwedischen Jazz in die Welt. Landgren, seit 1995 exklusiver ACT-Artist und mittlerweile der erfolgreichste Label-Künstler, zeigt sich auf dem „Jubilee Album“ mit Nat Adderleys „Walk Tall“ auch von seiner funkigen Seite. Und Wakenius‘ Hommage „Paco’s Delight“ an die Flamenco-Ikone Paco de Lucía wird im Duo mit seinem Sohn Eric zur Familiensache. Über die fruchtbare Schweden-Connection fand auch Viktoria Tolstoy den Weg zu ACT, die auf dem Jubiläumsalbum unverwechselbar bittersüß „Monologue“ ihres früheren Begleiters Esbjörn Svensson singt.
Natürlich ist es auch kein Zufall, dass das Album mit Svenssons „Prelude in D Minor“ endet, war er mit seinem Trio e.s.t. doch bis zu seinem tragischen Unfalltod 2008 der wohl wichtigste Neuerer des europäischen Jazz. Das Solopianostück ist das einzige Vermächtnis eines geplanten, aber leider unvollendeten Soloalbums. Auch der e.s.t.-Klassiker „Dodge The Dodo“ unterstreicht die große Strahlkraft des verstorbenen schwedischen Masterminds, den hier ein Quartett mit dem polnischen Geiger Adam Bałdych, dem finnischen Pianisten Iiro Rantala und dem Flötisten Magnus Lindgren mit Wucht und Finesse zu Gehör bringt.
Neben Svensson, Bałdych und Rantala ist auch der norwegische Saxofonist Marius Neset mit „Prag Ballet“ ein herausragendes Beispiel für den „Sound of Europe“, dem ACT ebenfalls von Anfang an ein Dach gegeben hat. Und dieses Engagement mit wachsendem Erfolg fortsetzt, wie „B&H“ beweist, eine Live-Aufnahme der brandneuen Kombination der neuen französischen Jazzstars Vincent Peirani und Emile Parisien mit dem einmaligen Schweizer Vokalartisten Andreas Schaerer sowie dem „vollkommenen Klaviermeister“ (FAZ), Michael Wollny.
Als einer der wenigen deutschen Jazzer hat das Jahrhunderttalent Wollny den Sprung ins internationale Rampenlicht geschafft. Auf dem „Jubilee Album“ ist er in zwei weiteren Konstellationen vertreten: Im explosiven Duo „Swing, Swing, Swing“ mit Deutschlands bedeutendstem Schlagzeuger Wolfgang Haffner, repräsentiert Wollny die ACT-Politik, nie die heimischen Talente zu vergessen. Das live in der Berliner Philharmonie aufgenommene Duo mit Iiro Rantala („White Moon“), steht zugleich für die ACT-Mission, der Welt aufstrebende Jazzpianisten vorzustellen. Schließlich darf auch die „ganz große Kunst eines wahren Stimmwunders“ (Vogue) auf der Geburtstagszusammenstellung nicht fehlen: Youn Sun Nahs „Bitter Ballad“.
Das „Jubilee-Album“ ist Rückschau und Ausblick in einem. Es zeigt anhand von herausragenden Kompositionen und Künstlern, dass ACT ein verlässlicher Kompass für neue, aufregende Musik „in the Spirit of Jazz“ war, ist und bleiben wird.Credits:Curated by Siggi Loch Mastered by Klaus Scheuermann Cover art by Jiri Geller, SMILE!, 2016 @ ACT Art Collection
Andreas Schaerer - The Big WigCD / DVD / Vinyl / digital
Hildegard Lernt Fliegen:Andreas Schaerer voice, beatboxing, human trumpet Andreas Tschopp trombone Matthias Wenger alto & soprano saxophone, flute Benedikt Reising baritone saxophone & bass clarinet Marco Müller bass Christoph Steiner drums & marimba Orchestra of the LUCERNE FESTIVAL ACADEMY conducted by Mariano Chiachiarini
Es gibt gleich einige gute Gründe, warum der Berner Andreas Schaerer derzeit einer der interessantesten Gesangskünstler der Musikszene weltweit ist. Was damit beginnt, dass der Preisträger des ECHO Jazz 2015 in der Sparte „Gesang international“ (und damit direkter Nachfolger von Gregory Porter) weit mehr ist als nur ein Sänger und auch nur bedingt in die Schublade Jazz passt. Schaerer ist vielmehr ein Stimm-Jongleur, der sein Organ nicht nur in den verschiedensten Lagen und Stilen (vom klassischen Lied- bis zum Crooner- oder Scat-Gesang) erklingen, sondern damit auch alle denkbaren Geräusche erzeugen und allerlei Instrumente bis hin zum Beatbox-Schlagzeug imitieren und auf buchstäblich unglaubliche Weise polyphon übereinander türmen kann. Er ist darüber hinaus ein glänzender Komponist und Improvisator, der diese Fähigkeiten für die verschiedensten Projekte variabel einsetzen und rhythmisch wie melodisch virtuos gestalten kann. Und er verfügt schließlich in reichem Maße über Bühnen-Charisma und die in der „ernsten Musik“ eher seltene Gabe des Humors, was vor allem bei seiner Paradeband Hildegard Lernt Fliegen zur Geltung kommt.
So ist es folgerichtig, dass Schaerer mit Hildegard Lernt Fliegen beim, in der Klassikwelt große Strahlkraft besitzenden, Lucerne Festival ins Spiel kam, lautete doch das Festivalmotto 2015: Humor. Dramaturg Mark Sattler, beim Festival für zeitgenössische Projekte zuständig, fragte Schaerer, ob er nicht einen Hildegard-Auftritt mit einer 20-minütigen Komposition für das Lucerne Festival Academy Orchestra kombinieren wolle, jenem Klangkörper für junge Talente, der 2004 von Pierre Boulez ins Leben gerufen wurde. Schaerer ergriff mehr als nur den gereichten Finger und schrieb gleich ein ganzes Orchesterwerk mit sechs Sätzen für 66 Musiker: Nach harter Kompositionsfron, Arrangement- und Orchestrierungs-Feinschliff sowie intensiven Proben wurde „The Big Wig“ am 5. September 2015 im Luzerner KKL der Öffentlichkeit präsentiert. Das Werk riss die Zuschauer von den Stühlen und selbst die üblicherweise nüchterne Schweizer Presse wurde euphorisch. Sie hörte ein Konzert, das als Fazit nur ein Adjektiv zuließ: „gigantisch“, wie das Kulturmagazin KultUrteil schrieb. Und die Neue Luzerner Zeitung merkte an: „das Verrückte war, wie sich hier orchestrale Komplexität mit Grooves verband, wie es die zeitgenössische Musik in der Regel nicht kennt.“
Glücklicherweise schnitt das Schweizer Radio (SRF) die Uraufführung mit. Auch ein Kamerateam war vor Ort. Und so ist der außergewöhnliche Konzertabend nun auf CD und DVD dokumentiert: Andreas Schaerer „The Big Wig“ Hildegard Lernt Fliegen meets the Orchestra of the LUCERNE FESTIVAL ACADEMY.
Paradoxerweise, hält man sich das Festivalmotto vor Augen, hat man wohl noch keinen „seriöseren“ Schaerer-Auftritt erleben können als bei „The Big Wig“. Was aber nur die logische Konsequenz daraus ist, dass Schaerer seine Chance beim Schopf packt und alle Möglichkeiten des sinfonischen Rahmens ausschöpft. Denn damit treten er und seine Mitstreiter sozusagen ins zweite Glied, um sich in den orchestralen Gesamtklang einzufügen. Die drei adaptierten und erweiterten Hildegard-Kompositionen „Zeusler“, „Seven Oaks“ und „Don Clemenza“ gewinnen so einen neuen Fluss und enorme, mitunter filmische Kraft. Ravel und Bernstein kommen einem ebenso in den Sinn, wie Ellington oder Stan Kenton; die rhythmisch verschobenen Staccati in „Don Clemenza“ lassen einen gar nachhaltig an Strawinsky denken. Und auch die eigens geschriebenen Stücke wie „If Two Colossus“, „Wig Alert“ und „Preludium“ ergeben inspirierte Sinfonik mit einem Esprit und einer stets zugänglich bleibenden Experimentierlust, der den meisten neuen Werken dieses Genres fehlt. Das junge, mit überragenden und eben nicht nur der reinen Klassik zugewandten Talenten aus aller Welt gespickte und vom Dirigenten Mariano Chiacchiarini lässig, aber präzise instruierte Orchester, hat hörbar seinen Spaß. Dieses lässt sich sogar gänzlich auf Jazz-Abwege führen, wenn Schaerer bei „If Two Colossus“ kurzerhand das Dirigentenpult entert. Wann hat man je ein Sinfonieorchester kollektiv improvisieren gehört, und das packend und hinreißend dazu?
Oft genug ist die Kombination aus klassischem Orchester und Jazzband missglückt. Hier ist es eine befruchtende und begeisternde Symbiose, bei der nichts Beiwerk oder Hintergrund bleibt, sondern jedes Instrument und jede Stimme substantiell in Szene gesetzt ist, bis hin zu den zwei Harfen und den zwei Marimbas. So entsteht eine Sinfonie neuer Art, die Genre- oder Stilgrenzen nicht sprengt, sondern sie gar nicht mehr wahrnimmt. „The Big Wig“ ist das Meisterstück des Multitalents und Stimmwunders Andreas Schaerer, mit dem er sich endgültig in die Riege der wichtigsten Komponisten und Interpreten zeitgenössischer Musik seiner Generation einreiht.
Ab
20,00 €*
Konzerte
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