Die Kunst, sich nicht in Szene zu setzen: E_L_B
Was im Alltagsleben so gut wie nie funktioniert - in der Musik ist es manchmal machbar. "Bei uns gibt es keinen Chef, wir sind drei gleichberechtigte Akteure", sagt der Gitarrist Nguyen Lê und fügt hinzu: "Wir haben ein ziemliches Faible für echte Demokratie". Die Band bin ich - eine solche Einstellung maßt sich bei diesem vor knapp zwei Jahren in Frankreich gebildeten Trio keiner an. Oder wenn schon, dann gilt sie selbstverständlich für alle. Drei scheinbar unspektakuläre Buchstaben genügen denn auch als Signet der gemeinsamen Unternehmung: E-L-B. Ausgeschrieben bedeutet das: Erskine - Lê - Benita. Und das ist nun alles andere als unspektakulär. Wer das internationale Jazzgeschehen in den letzten zehn, zwanzig Jahren verfolgt hat, schnalzt bei diesen drei Namen mit der Zunge.
Schlagzeuger Peter Erskine, 1954 in Somers Point, New Jersey, geboren, machte schon als Siebenjähriger bei einem Nachwuchs-Camp den Bandleader Stan Kenton auf sich aufmerksam, wurde als Mitglied der Gruppe Weather Report in den späten Siebzigern weltweit bekannt, spielte mit Musikern wie Maynard Ferguson, Gary Burton, Pat Metheny, John Abercrombie, Marc Johnson und der Songwriterin Joni Mitchell. Doch nicht zuletzt mit seinen eigenen Bands hat er sich seit 1982 als einer von denen profiliert, die Trommeln und Becken auch flüstern lassen können. Sein Credo lautet: "mit weniger mehr sagen". Und wer Erskine je gehört hat, weiß, was er damit meint.
Gitarrist Nguyên Lê, als Sohn vietnamesischer Eltern 1959 in Paris geboren, ist in Frankreich schon seit den achtziger Jahren eine feste Größe. International bekannt ist er vor allem seit seinem Auftritt 1994 beim Berliner JazzFest, und die Frankfurter Allgemeine Zeitung bescheinigte Lê damals, dass "kein Mensch auf der Welt" so Gitarre spiele wie er. Mit Cds wie "Tales from Viêt-Nam" (ACT 9225-2) und "Maghreb & Friends" (ACT 9261-2) untermauerte er seinen Ruf als eigenwilliger Weltmusiker, für den jede Kategorie zu eng ist.
Bassist Michel Benita, 1954 in Algier geboren, hat sich, seit er 1981 nach Paris umzog, immer mehr als starke Persönlichkeit an seinem ruhigen Riesen-Instrument erwiesen. Als eine der großen europäischen Entdeckungen der Achtziger wurde er gefeiert. Sein warmer, kraftvoller und vor allem flexibler Ton hat ihn zum gefragten Partner von Musikern wie Aldo Romano, Marc Ducret und Martial Solal, aber auch Lee Konitz, Toots Thielemans und Archie Shepp werden und zudem als Bandleader hervortreten lassen.
Bei verschiedenen Aufnahmen haben sich die Wege dieser drei Musiker immer wieder gekreuzt. "Peter Erskine und ich hatten schon lange vor, eine gemeinsame Gruppe zu gründen", sagt Nguyen Lê. Bereits 1994 ergaben sich erste Trio-Auftritte mit Michel Benita, und 1999 ließen die Drei nach einem Treffen bei der MIDEM diese Formation als kontinuierlich zusammenarbeitende Band wieder aufleben.
Die vorliegenden elf Stücke - vier von Lê komponiert, vier von Erskine und drei von Benita - wirken wie aus einem Guss. Das klingt mal energiegeladen rockig ("Pong", "Sao Sen"), mal wird federnd-locker einem "Country Boy" gehuldigt, mal ein ungemein lyrischer und sensationell leiser Balladenklang entfaltet ("Autumn Rose"). Für seine bisher kurze Existenz wirkt dieses Trio enorm reif, denn selten ist im Jazz die Kunst der Selbst-Zurücknahme vollkommener als hier: Eng verzahnt ist das Zusammenspiel, immer eine geschlossene Einheit, bei der das Ganze wichtiger ist als gelegentliche solistische Höhenflüge.
Dahinter steckt eine höhere Weisheit: Wenn sich keiner selbstgefällig hervortut, kommen alle um so besser zur Geltung. Die messerscharfen, manchmal leicht fernöstlich gefärbten Töne Nguyen Lês, die leichthändige Geschmeidigkeit von Michel Benitas Bass-Spiel und Peter Erskines feinsinnige Präzision, die einem Pianissimo die Kraft eines Vulkanausbruchs geben kann, bleiben bei aller Unterordnung ans gemeinsame Konzept unverwechselbar. So aufregende Dinge sind möglich, wenn kein Chef einem reinredet.