Aufnahmen barocker Musik gibt es viele – sowohl solche, die um eine historische Aufführungspraxis bemüht sind, als auch jene, bei denen eine radikal moderne Verarbeitung des Originals angestrebt wird. Die schwedische Sopranistin Jeanette Köhn aber wählt auf „New Eyes on Baroque“ den Mittelweg. Unterstützung erhält sie dabei von dem bewährten „Christmas With My Friends“-Ensemble um Nils Landgren und dem von Gustaf Sjökvist dirigierten Schwedischen Rundfunkchor. Einerseits verfügen die klassisch ausgebildete Sängerin und der traditionsreiche Chor über reichlich Erfahrung mit der Darbietung barocker Musik, und andererseits stehen dem Instrumentalisten gegenüber, welche allesamt im Jazz beheimatet sind.
Die Anregung für dieses Projekt bekam Nils Landgren 2007 von den Veranstaltern des Bachfestes Leipzig, welche die Musik von Johann Sebastian Bach in einem neuen musikalischen Gewand hören wollten. Jeanette Köhn ergänzte das Repertoire noch um Werke von Georg Friedrich Händel und Henry Purcell. Doch erst 2010 konkretisierten sich die Pläne eine CD aufzunehmen, wofür schließlich noch der Schwedische Rundfunkchor gewonnen wurde. Sein Dirigent Gustav Sjökvist ist ein ausgewiesener Fachmann darin Alte Musik mit Jazz zu verweben, wirkte er doch bereits bei Jan Lundgrens „Magnum Mysterium“-Einspielung mit, die sich der Renaissance-Musik widmet.
Die größtenteils von Johan Norberg arrangierten Interpretationen nähern sich respektvoll den barocken Kompositionen. Ohne den Ursprung zu verschleiern, eröffnen sie dem Hörer neue Perspektiven und Klangerlebnisse, weil die Besetzung eine äußerst ungewöhnliche ist: Nils Landgren an der Posaune, Jonas Knutsson an Bariton- und Sopransaxofon, Eva Kruse am Kontrabass und Johan Norberg an der akustischen Gitarre sind gewissermaßen Ersatz für ein barockes Kammerensemble.
Es ist nur naheliegend, dass sich Jazzmusiker der barocken Musik widmen. Denn die Freiräume für Improvisationen finden sich nicht erst im Jazz, sondern ebenso in der ornamentalen Ausgestaltung barocker Melodien und der damals üblichen Generalbassbegleitung. Bereits Johann Sebastian Bach, etwa, galt zu seinen Lebzeiten als herausragender Improvisator. Und so hauchen Landgren & Co wie selbstverständlich und ganz organisch den rund 300 Jahre alten Stücken neuen Lebensgeist ein. Durch Posaune und Saxofon, aber auch durch die Gitarre von Norberg, der verschiedene offene Stimmungen verwendet, erhalten die Stücke zudem ganz neue Klangfarben. Doch drängen sich die Begleitmusiker nie in den Vordergrund, sondern wirken unterstützend für Jeanette Köhns klaren Sopran.
Die Auswahl der Stücke auf „New Eyes on Baroque“ ist wie geschaffen für die Schwedin. Bekannte Arien aus Kantaten und Opern interpretiert Köhn mit ihrem natürlichen Timbre und einem den verschiedenen Stimmungen der Kompositionen gerecht werdenden Ausdruck. Dabei beweist sie sowohl ihren Sinn für barocke Melodielinien als auch für „nordische“ Schlichtheit. Den Rahmen für das Album bilden zwei Choräle von Bach: Am Anfang steht mit „Jesu bleibet meine Freude“ ironischerweise ein Schlusschoral einer Kantate, der sich jedoch in dem Arrangement mit Pre-, Inter- und Postludium des Sopransaxofons bestens als Einleitung eignet; den Abschluss bildet „Ach Herr lass dein lieb Englein“, der finale Choral der „Johannes-Passion“.
Gemeinsam haben alle Stücke eine gewissermaßen sakrale Atmosphäre – ob es sich bei dem Text um einen geistlichen oder weltlichen handelt, spielt dabei keine Rolle, denn letztendlich soll Musik doch den Gemütszustand des Hörers berühren. Dies gelingt dem Ensemble auf unterschiedlichste Weise – ob etwa durch die filigrane Gesangspartie von Händels „Ode To Queen Anne“, das instrumentale „Air On A G-string“, der wohl bekanntesten Komposition Bachs, oder das Klagelied „When I Am Laid“ aus Purcells Oper „Dido and Aeneas“.
„New Eyes on Baroque“ verzichtet auf große Effekte und besticht vielmehr durch die von den Musikern verinnerlichte Aura der verarbeiteten Kompositionen. Die einfühlsame Stimme Köhns, der natürliche Sound des rein akustischen Ensembles und der klangvolle Schwedische Rundfunkchor sind alleine schon wirkungsvoll genug und beweisen, dass es noch möglich ist, auf Jahrhunderte alte Kompositionen einen neuen Blick zu werfen.