Die BBC war früh vom Pianisten Gwilym Simcock überzeugt. Bereits 2005 – Simcock war 24 – verlieh sie ihm den Jazz Award als „Rising Star“ und kürte ihn von 2006 bis 2008 zum ersten “BBC Radio 3 New Generations Jazz Artist”. 2007 wurde er dann bei den British Parliamentary Jazz Awards als „Jazzmusiker des Jahres“ ausgezeichnet. Ähnliche Ehren errang das mit seinem Trio 2008 eingespieltes Debütalbum „Perception“. Schwerer noch wiegt aber vielleicht das Lob der Kollegen: Chick Corea nennt ihn ein „Original, ein kreatives Genie.“ Landsmann Jamie Cullum, unbestrittener Star des britischen Jazz, erklärt ihn zu „unserem besten jungen Klavierspieler.“
So hat sich der junge Waliser redlich verdient, in einem Zug mit neuen Stars wie Vijay Iyer und Michael Wollny genannt zu werden. Und er folgt diesen auch in der Reihe der eindrucksvollen Pianosolo-Alben bei ACT nach: Auf „Good Days at Schloss Elmau“ finden sich acht Improvisationen, ausschließlich eigene Stücke, inspiriert von dem einmaligen „cultural hideaway“ in den Bayerischen Alpen. Und wieder einmal zeigt sich der genius loci in den Aufnahmen – wie besonders bei einem der Klassik so verbundenen Pianisten wie Simcock zu erwarten war.
Denn zunächst lernte Gwilym Simcock ganz klassisch Klavier, vom dritten Lebensjahr an. Der Vater, im Nebenberuf Kirchenorganist, erkannte sein Talent und förderte es. Mit sieben bekam Simcock Unterricht am ehrwürdigen Londoner Trinity College of Music, danach ging es auf die Chetham’s School in Manchester. Diese Ausbildung hört man Simcock bis heute an: Von der Technik wie vom interpretatorischen Talent hätte Simcock bestimmt auch ein erfolgreicher klassischer Pianist werden können. Doch die Musik von Keith Jarrett und Pat Metheny brachte ihn mit 15 unwiderruflich zum Jazz. Und zum entsprechenden Studium an der Royal Academy of Music, das er mit Auszeichnung und einem Sonderpreis abschloss.
Sein Talent sprach sich in Jazzerkreisen schnell herum, und so spielte Simcock bei Größen wie Dave Holland, Lee Konitz oder Bob Mintzer sowie als festes Mitglied von Bill Brufords „Earthworks“, bevor er überhaupt eine CD vorzuweisen hatte. Was die Musikerkollegen so anspricht und das Publikum so fasziniert, ja oft verblüfft, wird auch auf „Good Days at Schloss Elmau“ nach wenigen Takten klar: Wie ein Hai hat sich Simcock durch die Meere der Musikgeschichte gefressen; wer genau hinhört, wird Anklänge finden an Mozart, Bach, Chopin, Ravel, Gershwin oder Ligeti, ebenso wie an George Shearing, Thelonious Monk, Bill Evans und Oscar Peterson. Und natürlich an Keith Jarrett, dem Auslöser von Simcocks Jazzleidenschaft, dem mit „Northern Smiles“ (in Anspielung an Jarretts „Southern Smiles“) eine fulminante Hommage gewidmet ist. Simcock ist also ein Eklektiker, der handwerklich über die Möglichkeiten verfügt, aus seinem Instrument herauszuholen, was möglich ist. Aber unter den virtuosen Sammlern einer der wenigen ist, die einen eigenen Stil gefunden haben. „Wenn du jung bist, denkst du, dass die technische Meisterschaft über dein Instrument zu erringen das Wichtigste ist. Dann merkst du, dass es nur funktioniert, wenn du die richtige Einstellung findest und deine Inspirationen in deine Arbeit einfließen lässt“, erklärt er selbst.
Obwohl sein rhythmisches Gespür ausgeprägt ist (was schon zum Einstieg mit der forcierten Synkopik des Titelstücks oder beim wirbelnden „Wake Up Call“ mehr als deutlich wird) und seine Harmonik extravagant (man höre die Chromatik bei „Gripper“), so ist doch das Markanteste an Simcocks Spiel sein besonderer Ton: „Ich will das Klavier singen hören. Ich muss im Kopf Melodien hören, wenn ich improvisiere“, erklärt er. Und so ist ein Neo-Romantiker, der aus allen Einflüssen von der Klassik über Sechziger-Jahre-Pop bis zu Jazz-Standards wogende und wirbelnde Elegien wie das dreizehnminütige „Can We Still Be Friends“ macht, die vor Einfällen und Eskapaden strotzen. Und doch, wie von einem Navigationssystem gesteuert, immer wieder zum Thema zurückfinden