Das sinnenhafte Schillern der Seele
Drei große Jazz-Individualisten breiten ihre ganze Farbpalette aus: Die neue CD des Christof Lauer Trios
Eine solche Ausdruckskraft ist außergewöhnlich. Der Saxophonist Christof Lauer hat die Fähigkeit, Töne auf vielfältige Art einzufärben, sie mit der Härte eines Sandstrahls strömen und schier bersten zu lassen – und im nächsten Moment so zu spielen, als kämen sie ganz fahl aus der Ferne. Und es ist nie Effekt, sondern immer formal stimmiger Ausdruck vielfältiger Empfindungen.
Fest steht: So viel Intensität wie Lauer können nur ganz wenige Musiker bieten. Dies wird in den vorliegenden Aufnahmen mit seinem neuen Trio besonders deutlich. Denn in diesem Trio kann er, dank der Flexibilität der faszinierend ebenbürtigen Partner und der Bandbreite der Stücke, alle seine Facetten ausleben. Lauer spielt hier mit dem Franzosen Michel Godard (der nicht nur Tuba -Spieler ist) und dem Briten Gary Husband zusammen (der nicht nur Schlagzeuger ist). Ausschließlich Eigenkompositionen der drei Musiker enthält diese CD – und es sind Stücke, die höchst unterschiedliche Welten eröffnen. Jedes bietet neue Farben und Schattierungen – und doch ist alles gehalten durch die Prägnanz der drei Jazz-Individualisten.
Bei dieser Dreiländer-Verbindung hochvirtuoser Künstler kommt als weiterer Reiz hinzu, dass jeder Musiker zwei Instrumente mitbringt. Godard ist Tuba -Spieler, beherrscht aber auch ein historisches Exotikum namens Serpent, jenes etwas heiser klingende schlangenförmig gewundene Ungetüm aus lederüberzogenem Holz aus der Familie der Zinken. Husband ist ein hervorragender Schlagzeuger und ein beachtlicher Pianist dazu. Bei Christof Lauer sind das Tenor- und das Sopransaxophon im Spiel so unterschiedlich charakterisiert, dass man auch hier von zwei Instrumenten sprechen kann. Die Vielfalt, die sich daraus ergibt, äußert sich in den elf Stücken der CD mal rhythmisch zupackend, mal lyrisch mit kantigem Profil, mal von außerordentlich schöner klanglicher Fremdheit beseelt.
Manche prägt Michel Godard mit seinem durchlaufenden Tuba-Groove - vorwärtstreibende, hüpfende Linien, die mitreißen und beiläufig zeigen, welch gewaltiger Atem in ihm steckt (etwa Track 1, „Un regalo per natale“); aber auch mit dem dunklen Flüstern des Serpent (Track 5; „Suave sospiro“ - „lieblicher Seufzer“ heißt dieses Serpent-Paradestück nicht umsonst; Komponisten früherer Jahrhunderte, die den Klang des Serpent zu „roh“ fanden, hatten eben Godard nicht gehört). Weite Räume schafft Gary Husband in seinen seltenen, aber atmosphärisch reichen Klavier-Intros (Tracks 5 und 9) ebenso wie als Schlagzeuger: Klangvielfalt mit Besen und Stöcken, eruptive Kraft, feine Details. Christof Lauer zeigt in „Pan fatigué“ (Track 3) – es handelt von einem müden Gott Pan, dessen musikalische Verführungskunst dennoch durch jedes Schilfrohr dringt – eindrucksvoll, dass ein unbegleitetes Tenorsaxophon alles andere als trocken klingt, wenn er es spielt. In „The Kite“ (Track 2) erreicht das Tenorsax äußerst luftige Höhen – ganz wie der Drachen, der dem Stück seinen Titel gab. Lauers Spiel hat immer etwas von einem sinnenhaften Schillern der Seele, auch auf dem Sopransax, mit dem er feine lyrische Leuchtspuren zeichnet, die eine ganz andere Temperatur entwickeln als die Linien auf dem tieferen Instrument.
In diesem Trio kann jeder der drei Musiker ausgesprochen viel Profil zeigen. Hochgradig spannend ist es, wie diese Profile hier ineinander wachsen (oder auch: aneinander wachsen, und dies im doppelten Sinn). Lauer, Godard und Husband gehen so wach aufeinander ein, dass sie zuweilen wie ein einziger, stark konturierter Klangkörper wirken. Und es bleibt stets aufregend, ihnen zu folgen. Ob bei lieblichen altertümlichen Seufzern, beim Treiben eines etwas indisponierten Gottes oder bei sich in den Himmel windenden Linien eines Drachens – immer ist das Hör-Erlebnis voller Intensität, Prägnanz und Überraschungsreichtum.